Archiv für den Monat Mai 2020

Ich lieb dich, bis die Kühe fliegen

Wer einem geliebten Menschen glaubhaft versichern will, wie tief und unendlich diese Liebe sei, neigt zu Superlativen und merkt, dass dabei die Grenzen des sprachlich Vermittelbaren schnell erreicht sind. Im Sinne von: Ich lieb dich bis zum Mond und wieder zurück! – Was, nur so wenig? – Ich lieb dich bis zum Mond und dreimal hin und zurück. – Besser? –  Dann doch lieber gleich derart übertreiben, dass die Unendlichkeit der Liebe zumindest sprachlich und mathematisch nicht mehr zu übertreffen ist …

„Ich lieb dich, bis die Kühe fliegen, auf den Mond, zu fremden Sternen und in unerreichte Fernen.“

Oder auch: Lieben, bis die Yaks verreisen, bis die Schafe segeln, bis die Wölfe schweben, bis die Frösche tauchend mit Seepferdchen und Tiefseefischen lustig durch die Meere ziehen, bis die Hirsche steppen, bis die Gänse backen, bis die Ameisen feiern , um dann letztlich völlig erschöpft von derart ambitioniertem Liebeswerben ihre Augen schließen und müde in den Schlaf versinken, während die Frösche auf ihren Geigen schrummeln .

Die skurrilen wie zärtlichen Liebesbeweise sind in Bilderbuchform textlich und illustratorisch wunderbar humorvoll in Szene gesetzt mit Kühen, die an Raketenschaltpulten walten, cabriofahrenden Yaks, Schafen in Kapitänsmützen, ballonfahrenden Wölfen, mit von Fischschwärmen begleiteten und Einrad fahrenden Fröschen, entertainenden Hirschen, am Lagerfeuer sitzenden und Stockbrot backenden Gänsen, Geburtstagskuchengestaltenden Ameisen und schließlich allen liebestrunkenen Akteuren im Schlummer-Modus.

Wem derart überzeugend bewiesen wird, unendlich geliebt zu werden, kann getrost in den Schlaf versinken, um sich vom Geliebten träumend auf den kommenden Tag zu freuen.

Ein liebevolles Liebes-Bilderbuch, welches Liebende jeden Alters erfreuen dürfte!

 

Ich lieb dich, bis die Kühe fliegen

Text: Kathryn Cristaldi

Illustration: Kristyna Litten

Übersetzung aus dem Englischen: Mathias Jeschke

Mixtvision, 2020

 

Der kleine Fuchs

Das Cover zeigt einen kleinen Fuchs, der von einer Dünenlandschaft aus neugierig die Wasservögel am Meer beobachtet. Auffällig ist seine signalorangerote Farbe, die sich in den Baumsilhouetten im Vor- und Nachsatz fortsetzt und auch immer wieder in weiteren Abbildungen, welche die poetische Bilderbuchgeschichte begleiten, ins Auge fällt.

Die ersten fünf Doppelseiten des Buches kommen völlig ohne Text aus. Zu sehen ist der kleine Fuchs inmitten von Möwen, Reihern und anderen Wasservögeln – mal diese neugierig beobachtend, mal ihnen übermütig nachjagend, mal verspielt  wie in einer Yogaübung  die ausgebreitenden Schwingen einer schwarzen Gans imitierend oder sich unter Tiere von Wald und Flur mischend. Die verschiedenen Tiere tummeln sich als zeichnerisch dargestellte Figuren collagenartig inmitten von grau-bläulich schimmernden  Landschaftsfotografien.

Es folgen einige Doppelseiten mit begleitendem Text. Als der abenteuerlustige kleine Fuchs zwei lila Schmetterlingen nachzujagen beginnt und dabei nicht mehr seine Umgebung beachtet, passiert es: er springt und fällt und … bleibt regungslos am Strand liegen.

Nun beginnt sein Traum, mit dessen eigentlicher Handlung auch der Stil der Darstellungen ins rein Zeichnerische wechselt. Vor seinem inneren Auge beginnt sich wie in einem Film sein kurzes kleines Leben auszubreiten (und die erwachsenen Vorleser beginnen zu erahnen, was das möglicherweise bedeuten könnte … ): Der kleine Fuchs ist nun ein Fuchsbaby, welches sich an seine Fuchsmama und -geschwister kuschelt. Weitere „Film“-sequenzen zeigen Szenen aus dem Fuchsleben: den Fuchspapa, welcher seinen Kindern gefangene Mäuse in den Bau bringt, übermütige Spiele der Fuchsgeschwister, Begegnungen mit dem Mond, dem Wald, mit kleinen und großen Tieren, mit Gras und Beeren und „Blümeliblümchen“, mit dem Wind, der einem lustig das Fell zerzaust…

Abrupt enden die Erinnerungen, die Szene wechselt wieder in die anfängliche Dünenlandschaft. Nun ist ein kleiner Junge auf einem Fahrrad zu sehen, zwei fliegenden weißen Schwänen hinterherradelnd. Er macht ähnliche Sachen wie der kleine Fuchs zu Beginn,  watet lebensfroh durchs Wasser oder picknickt Tiere beobachtend am Strand.

Wieder Szenenwechsel, der Fuchstraum geht weiter: Fuchspapa spricht warnend zu den Fuchskindern, er sagt, dass Neugier Todesgier sei (und nun beginnen vielleicht auch die Kleineren zu ahnen, dass möglicherweise etwas Schlimmes passiert sein könnte… ). Von Fuchspapa lernen die Kleinen auch, wie man Früchte und Beeren pflückt, wie man auf Würmer springt. Sie lernen, wie (todesgierig gewesene) Raschelmäuse zwischen den Kiefern knacken, wieviel Spaß es macht, mit einem Glücksgeruch in der Nase in einem Sack zu wühlen und dort einen Ball zu finden, mit diesem übermütig zu spielen, sich dabei von einem kleinen Jungen (es ist der mit dem Fahrrad …) fotografieren zu lassen oder sich von diesem –zum Glück!- aus einer misslichen Lage befreien zu lassen und von Fuchsmama kann man lernen, wie man sich in seinen Schwanz einrollen muss, wenn die Welt es gerade mal nicht gut mit einem meint.

Und noch mal Szenenwechsel – halb Traum und halb schon Realität. Der kleine Fuchs sieht sich selbst im Traum regungslos in den Dünen liegen. Und dann kommt der kleine Junge, nimmt ihn auf und trägt ihn fort. Und wie in einem Trauerzug folgen ihm mit gesenkten Köpfen all die Tiere aus Wald und Wasser und Feld … (Nein, bitte nicht …, denken wir beim Lesen.)

Aber dann … ist alles gut.

Die tief berührende Geschichte voller erzählerischer und zeichnerischer Wärme und Poesie gleicht einem Wechselbad der Gefühle – sie zeigt uns Freude, Lust, Neugier, Staunen, Liebe, Fürsorge, Geborgenheit, Trauer, Tod, Erschrecken, Schmerz, Hoffen und vieles mehr.  Vor allem zeigt sie uns, wie wunderbar und  zerbrechlich zugleich das Leben sein kann.

 

Text: Edward van de Vendel

Illustration: Marije Tolman

Übersetzung aus dem Niederländischen: Rolf Erdorf

Gerstenberg, 2020

Multitalent Gouache

 

Dass die Gouachefarbe  ein wahres Multitalent ist, zeigt uns der renommierte Illustrator Aljoscha Blau in einem wunderbaren, 184seitigen Arbeitsbuch aus dem für besonders schön gestaltete Bücher bekannten Verlag Hermann Schmidt. Hier plaudert er aus dem Nähkästchen seines reichen Erfahrungsschatzes, so wie er es sich in seiner Studienzeit selbst gern in Form von Büchern seiner Lieblingskünstler gewünscht hätte. So ist das nun vorliegende Buch sowohl ein Geschenk an den jungen Kunststudenten von damals und gleichzeitig an alle von heute, die gern mehr über Goachefarben und –techniken wissen wollen und sich lesend und lernend mit Stift und Pinsel zu  inspirieren erhoffen.

Das Besondere der Gouache-Technik ist, dass sie die Vorteile der Malerei und des Aquarellierens in sich vereint. Um sie uns entsprechend nahezubringen, teilt der Autor wie in einer Analogie zum Kochbuch seine Ausführungen in fünf Bereiche: zuerst philosophische und historische Bezüge, dann Materialkunde, danach erste Schritte, später spezielle Techniken und schließlich besondere Expertentipps.

Blau gesteht, dass Gouache, eine deckende Wasserfarbe mit Gummi arabicum als Bindemittel und weiteren Zusätzen wie Kreide, seine absolute Lieblingstechnik sei, womit er sich in guter Gesellschaft vieler alter und moderner Meister wie etwa Dürer, Matisse oder Chagall befindet. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts wurde Gouache zu DER Farbe für Illustratoren und Buchkünstler, aber auch zeitgenössische Künstler wie beispielsweise David Hockney arbeiten insbesondere in ihren Skizzen und Vorentwürfen bevorzugt mit Gouache, die sich in Künstlerqualität durch ihre samtene Oberfläche, gleichmäßigen Farbauftrag, das Leuchten der stark pigmentierten Farben und ihre hohe Deckkraft auszeichnet, wie Blau betont.

Zunächst gibt er Hilfestellungen, wie man zu seiner Lieblingsmarke finden kann, welche Informationen aus dem Etikett herauszulesen sind, welche Papiere geeignet sind, vergleicht diverse Pinsel, weitere Malutensilien und verschiedene Malmittel. Weiter erfahren wir, wie Papier aufgezogen wird, machen einen Ausflug in die Farbenlehre und richten unseren Arbeitsplatz optimal ein, wobei der Autor ein überzeugendes Plädoyer für eine gewisse „visuelle Hygiene“ hält. Zum Planen des Bildes empfiehlt Blau, wie die Synästhetiker „Farbklänge zu skizzieren“, um die Wirkung verschiedener Farbkombinationen zu erspüren, um im nächsten Schritt die Arbeitsetappen zu überlegen, womit das Malen mit Gouache gewissermaßen auch zu einem intellektuellen Abenteuer werden kann, denn die spezifischen Eigenschaften der Farbe bedingen auch den Bildaufbau. Wie unterschiedlich dies funktionieren kann, wird an vielen konkreten Beispielen gezeigt. Ausführlich folgen verschiedene Techniken der Gouachemalerei von transparent bis deckend – vom Lasieren und Lavieren über Dunkel-zu-Hell-Malerei, Verwendung von Schablonen und Drucktechniken bis hin zu Experimenten mit Bürsten, Lappen, Zweigen oder trockenen Pinseln. Auch Rohrfederzeichnungen mit Gouache erweisen sich als vielversprechende und nachahmenswerte Technik. Noch mehr Übung verlangen an ausdrucksstarken Beispielen vorgestellte Auswasch-, Auskratz-,  Spritz- und weitere Techniken unter Verwendung von Maskiermitteln, Kombination mit Pastellstiften, Aquarell- oder Ölfarben wie auch die Monotypie.

Der letzte Teil widmet sich der kreativen Umsetzung des bereits Gelernten an Beispielen, zum Teil in gut nachvollziehbaren Schritt-für-Schritt-Demonstrationen, im Hinblick auf die Darstellung von Menschen, Tieren, Pflanzen, Objekten, Landschaften oder Schriftgestaltungen als hilfreiche Anleitung und Anregung zum eigenen Ausprobieren und Weiterentwickeln.

Sehr überzeugend und überaus inspirierend gelingt es Aljoscha Blau mit seinem Buch, die Lust zu wecken, das Multitalent Gouache in all seinen Facetten kennenzulernen, seine Arbeitsvorschläge nachzumachen, damit zu experimentieren und individuell  mit eigenen Ideen neu zu erobern.

 

Multitalent Gouache

Aljoscha Blau

Verlag Hermann Schmidt, 2020

Die Wurzeln der Welt

Einer umfänglichen Betrachtung der Pflanzen als den eigentlichen „Erschaffern der Welt“ und ihrem bemerkenswerten Einfluss auf unser Sein widmet sich Emanuele Coccia, Professor für Philosophiegeschichte in Paris und ehemaliger Schüler einer italienischen Landwirtschaftsschule, in einem erstaunliche Denkanstöße gebenden Essay. Das preisgekrönte Buch, welches hinsichtlich der Auseinandersetzung mit der Problematik des Klimawandels wichtige philosophische Grundlagen zu liefern vermag, ist bei dtv im handlichen Taschenbuch-Format erschienen.

Coccia sieht die Pflanze als „intensivste, radikalste und paradigmatischste Form des In-der-Welt-Seins“, als das „klarste Observatorium, um die Welt in ihrer Gesamtheit zu beobachten“. Pflanzen formen Materie, Luft und Sonnenlicht zum Lebensraum aller anderen Lebewesen um – zum Atem der Lebewesen; Atem als Paradigma einer gegenseitigen Verschränkung. Ausgehend vom Leben der Pflanzen, die die Materie formen und gestalten, die aus dem Samen Wurzeln, Zweige und Blätter bilden, möchte Coccia die Frage nach der Welt neu stellen. Einerseits ist die Natur immer weniger Gegenstand philosophischer Betrachtungen, andererseits aber ist die Natur das, was das Sein in der Welt ermöglicht und umgekehrt ist alles, was ein Ding mit der Welt verbindet, Teil seiner Natur. Insofern ist der Mensch als Maß aller Dinge als Gegenstand philosophischer Betrachtungen möglicherweise ein überholter Ansatz, denn „die Welt an sich wird man nie erkennen können, ohne dabei auf die Vermittlung von etwas Lebendigem zurückzugreifen“. Aus dieser Erkenntnis schlussfolgert Coccia, dass der Versuch, eine neue Kosmologie zu begründen, die einzige als legitim zu betrachtende Form der Philosophie, mit einer Erkundung der Pflanzenwelt beginnen muss. Dieser widmet er sich eingehend, indem er Teile der Pflanzen, Blatt, Wurzel und Blüte, in den Gesamtzusammenhang eines organischen Ganzen setzt.

Dass Alles mit Allem im Zusammenhang steht und Alles in Allem enthalten ist, wird uns bei der hochinteressanten, zutiefst erhellenden und zuweilen poetischen Annäherung an Coccias philosophische Sichtweisen umso eindringlicher bewusst.

 

Emanuele Coccia

Die Wurzeln der Welt

dtv, 2020