Archiv der Kategorie: Buchrezension

Atlas der Gelassenheit

In unserer mitunter hektischen und problembelasteten Welt ist die Sehnsucht des Menschen nach Ruhe und Gelassenheit groß. Manchen fällt es schwer, zu ihrem inneren Gleichgewicht zu finden.

Bei der Lektüre des Buches stellt sich dieses beinahe schon beim Lesen ein. Es versammelt als „Atlas der Gelassenheit“ Weisheiten und Praktiken aus aller Welt, denen gemeinsam ist,  Ruhe, Entspannung, Wohlbefinden, Geduld und Ausgeglichenheit bewirken zu können.

 So erfahren wir von Shu, der konfuzianischen Tugend des Mitgefühls und der Rücksichtnahme, von Ayliak, der bulgarischen Kunst, bedächtig und anstfrei zu leben, vom sogenannten Flow, dem angenehmen Zustand höchster Konzentration und Versunkenheit in eine Tätigkeit, von Ho´ponopono, was in Hawaii das In-Ordnung-Bringen und geistige Reinigung durch Vergebung beschreibt, von Capoeira, einer afrobrasilianischen Praxis, welche Musik, Tanz, Akrobatik und Kampfsport miteinander verbindet, vom indischen Lachyoga als bewährtem Stresskiller, vom schwedischen Fika, einer gemeinsamen Kaffeepause mit Gebäck samt einem leckeren Zimtschnecken-Rezept und von der hebräischen Mizwa, dem moralischen Handeln oder der guten Tat, mit der man sich ebenso selbst Gutes tut. In Norwegen wird zur Erlangung von Gelassenheit Utepils praktiziert, was nichts anderes bedeutet, als sich mit Freunden an der frischen Luft auf ein Bier zu treffen. In Spanien werden sonntägliche Aktivitäten oder das bewusste Nichtstun am Sonntag Dominguear empfohlen. Das japanische Nuchi Gusui beschreibt gesunde Nahrung als Medizin für seelisches und körperliches Wohlbefinden und langes Leben. In Finnland ist das Geheimrezept ein sogenannter Wollsockentag, der Villasukkapäivä und in Dänemark werden Fredagsmys, die Freitags-Gemütlichkeit oder Morgenfrisk, also morgenfrisch in den Tag zu starten, hochgehalten. Diese und viele weitere Sitten und Gebräuche aus aller Welt können uns allerlei Gedanken- und Handlungsimpulse geben, um ruhiger und ausgeglichener zu werden.

Fantasievolle und ausdrucksstarke Illustrationen begleiten die informativ und unterhaltsam geschriebenen Texte und verdeutlichen die Abläufe verschiedener Übungen.

Wir erhalten interessante Einblicke in verschiedene Kulturen und können – je nach persönlichem Geschmack und Temperament – uns davon zu eigenem Tun und neuen Einsichten inspirieren lassen.

Atlas der Gelassenheit

Text: Megan Hayes

Illustration: Amelia Flower

Übersetzung aus dem Englischen: Ingrid Ickler

Knesebeck, 2020

Der blaue Vogel

Ganz allein im Dunklen und Kalten, dort, wo kein Sonnenstrahl mehr den Waldboden berührt, lebt ein kleiner trauriger blauer Vogel. Das Fliegen scheint er längst verlernt zu haben und auch schon fast vergessen zu haben, wie es ist, mit den anderen Vögeln hoch oben in den Baumwipfeln zu spielen und gemeinsam durch die Lüfte zu jagen. Mit ihm kann man keinen Spaß mehr haben, meinen sie. Und scheinen ihn zu vergessen.

Eines Tages aber flattert ein kleiner gelber Vogel in den Wald. Wo immer dieser sich niederlässt, ist er von goldenem Licht umgeben und die grünen Blätter fangen an zu wachsen. Erst bemerkt ihn der blaue Vogel gar nicht, aber dann vernimmt er sein melodisches Zwitschern, das für ihn wie ein Weckruf ist. Als sich der gelbe Vogel schließlich zu ihm gesellt und ihn sanft berührt, wird dem blauen Vogel ganz warm ums Herz und zögerlich beginnt  er wieder, aus seiner Lethargie zu erwachen und zu singen. Bald singen sie zusammen eine hoffnungsvolle Melodie, die den ganzen Wald erfüllt und bis in die Baumwipfel dringt. Als dann auch endlich der Tag kommt, an dem der blaue Vogel wieder seine Flügel ausbreitet, erheben sie sich gemeinsam ins Licht …

Mit wunderschönen Illustrationen, die in der Dunkelheit beginnen und von Seite zu Seite heller und farbenfroher werden, verdeutlicht die poetische Bilderbuchgeschichte die Umkehr aus einer tiefen Traurigkeit in Gefühle  der Hoffnung, Freude und Zuversicht. Und ein Teil des magischen Goldstaubs des gelben Vogels landet inmitten der Herzen der kleinen und großen Bilderbuchleser*innen.

Der blaue Vogel

Text und Illustration: Britta Teckentrup

arsEdition, 2020

Silberfunken

Maras Papa war lange weg. Sie weiß nicht, ob sie sich über seine Rückkehr so richtig freuen kann, denn sie weiß, dass er jetzt ganz anders ist als vor seiner Hirnverletzung. Danach sagte Maras Papa erstmal gar nichts mehr, später sprach er Mara mit einem falschen Namen an. Das Bild, was Mara ihrem Papa als Willkommensgruß gemalt hat, beachtet er kaum. Und Mama hat auch kaum noch Zeit für Mara, weil sie jetzt alles allein machen muss und immerzu arbeitet. Dieses Jahr wird Maras Papa auch nicht mehr den Kindergeburtstagsclown spielen wie sonst immer. Als er es dann doch tut und alle ihn auslachen, weil er so seltsam spricht, schämt sich Mara. Es gibt diesmal auch keinen Sommerurlaub, kein lustiges Spielen mit Papa, wie sonst. Mara ist wütend und sagt schlimme Sachen zu Papa, wofür sie Hausarrest bekommt. Mit Nachbar Sergio aber kann sie reden. Er stellt Mara nicht so viele Fragen oder sagt ihr, wie sie sein soll, sondern nur, dass er sie gut verstehen kann, weil er auch oft traurig ist und erzählt  von seiner Tochter, deren Schicksal ähnlich wie das ihres Papas ist. Sergio berichtet von traurigen, aber auch schönen Momenten mit der Tochter und Mara erzählt ihm von ihrem Papa, wie er früher war und wie er heute ist. Als Mara Sergio eine Zeichnung zeigt, die ihre Gefühle verdeutlicht, versteht er ganz genau, wie es ihr geht. Eines Tages entdeckt Mara silberne Funken in seinen Augen und weiß plötzlich, dass Papa zwar manchmal etwas schräg ist, aber immer ihr Papa sein wird.

Mit einfühlsamer Sprache und sehr schönen berührenden Zeichnungen greift das Bilderbuch ein schwieriges Thema auf, das nichts verniedlicht oder beschönigt, sondern zeigt, womit Betroffene sich in einer solchen Situation auseinandersetzen müssen: mit Überforderung, Gereiztheit, Wut, Trauer oder Gefühlen der Ohnmacht und Hilflosigkeit. Gefühle, die nicht einfach wegdiskutiert werden können oder mit guten Ratschlägen einfach verschwinden. Es zeigt aber auch, dass sich die heftigen Gefühle mit der Zeit relativieren und Gespräche mit verständnisvollen Menschen dabei sehr helfen und manches leichter machen können.

Das Bilderbuch kann kleinen und großen Menschen mit ähnlichen familiären Schicksalsschlägen eine wertvolle Hilfe sein, um miteinander über ambivalente Gefühle ins Gespräch zu kommen, Verständnis füreinander zu entwickeln und die Situation insgesamt besser verarbeiten zu können.

Silberfunken

Plötzlich ist alles anders

Text: Juliana Campas

Illustration: Daniela Costa

Verlag aracari, 2020

Me & the cubes

Inspiration als Ausgangspunkt künstlerischer Kreativität funktioniert am besten, wenn einerseits das inspirierende Objekt einen gewissen Rahmen vorgibt, in dem die Ideen fließen können, andererseits die Umsetzung dieser Ideen so wenig wie möglich Grenzen gesetzt werden.

Der Rahmen ist in diesem Falle ein broschiertes Buch, etwa im A4-Format mit schlichtem weißen Cover, dessen Inhalt auf einer genialen Idee beruht, über 500 Papierbauteile und 2000 Sticker enthält und mit diesen auf die Gestaltungsfreude und den Phantasiereichtum derer setzt, die dieses Buch geschenkt bekommen oder sich damit selbst beschenken.

In beiden Fällen geschieht dies vermutlich deshalb, weil schon das Cover ansprechend gestaltet ist und der Titel sowie die abgebildeten Figuren -in fünf Reihen untereinander angeordnete froschähnliche oder roboterhafte tanzende oder hüpfende  Gestalten, undefinierbare Vierbeiner mit langen Schwänzen und geometrischen Köpfen, Stachel-, Meer- oder sonstige Schweine, Libellen mit Hüten und gehörnte Monsterwesen- irgendwie neugierig auf den Inhalt machen. Dieser besteht lediglich aus einer Menge festen weißen Papiers mit vorgestanzten Formen sowie drei farbigen, jeweils von hell zu dunkler changierenden  Stickerbögen.

Die Bauteile, aus denen die abgebildeten sowie –je nach Ausprägung individueller Vorstellungskraft- unzählige weitere Wesen erschaffen werden können, sind vorgestanzte und zum Teil vorgefalzte Strukturen, aus denen unterschiedlich große Würfel, Quader, Prismen, Polyeder sowie weitere geometrische Formen und Anbauteile, die vorsichtig aus den Papierbögen herausgelöst und dann zu Körpern gefaltet bzw. angeklebt werden können. Wie die Bauteile entlang der Falzlinien zu falten sind, ist einer schematischen Darstellung zu entnehmen oder ergibt sich durch Probieren eigentlich auch meist von selbst. Am besten, man baut von allen geometrischen Körpern schon mal einige auf Vorrat, um sie dann frei nach Lust und Laune kombinieren zu können und dabei zu überlegen, was daraus entstehen könnte. Mit verschiedenen Anbauteilen wie Hörnern, Stacheln, Beinen, Schwänzen und weiterem mehr können die halbfertigen Körper dann noch ergänzt, vervollkommnet oder verschönert und mit Kleber fixiert werden. Zum Abschluss bieten sich die farbigen Stickerbögen mit zahlreichen Formen noch dazu an, den erschaffenen Wesen Gesichter oder Verzierungen zu verpassen. Der Gestaltungsvielfalt sind hierbei kaum Grenzen gesetzt.

Und es macht einen Riesenspaß, auf diese Weise eine ganze Armada von Phantasiewesen zu erschaffen, so dass vom Buchinhalt bestenfalls nur noch ein Gerippe aus Negativformen übrig bleibt. Eine geniale Idee für große und kleine kreative Köpfe zum Sich-selbst-oder-weiter-verschenken!

Me & the Cubes

Das Baukastenprinzip aus Papier

Idee und Konzept: Sebastian Weiss-Laughton

Kunstmann, 2020

Der supersüße Zeichenkurs

Niedlich, kindlich, süß heißt im Japanischen „Kawaii“. Die gleichnamigen Figuren zu zeichnen ist ein in letzter Zeit immer beliebter werdender Trend. Typische Kawaiis sind rundlich, haben einen kindlichen Gesichtsausdruck, wirken sehr emotional und kommen überwiegend in Pastellfarben daher – angelehnt an die Süßigkeiten, Obst oder Alltagsgegenstände, welche in Japan oft diesen typischen Kawaii-Ausdruck mit niedlichen Kulleraugen und knuffigen Gestalten verliehen bekommen. Für manchen Geschmack vielleicht etwas überzuckert, aber was soll´s – viele und vor allem Kinder und Frauen lieben sie und in schwierigen Zeiten bedarf es wohl mitunter der Überhöhung des Sorglosen, des Zelebrierens von Süßem und Harmlosem. Und um die Kawaiis nicht nur zu lieben, sondern selbst auch zeichnen zu lernen, bieten Anleitungen in Büchern wie diesem eine gute Grundlage.

Angefangen mit der Vorstellung geeigneter Materialien, über erste Übungen im Formenzeichnen, Darstellungen von Emotionen, kleine Fingerübungen und verständlich erklärte Schritt-für-Schritt-Anleitungen zur niedlichen Personalisierung von Melonenstücken, Erdbeeren, Avocados, Donuts, Pizzastücken und vielem mehr, über Übungen zum Zeichnen süßer Kawaii-Tiere wie Fledermäuse, Schafe, Elefanten, Hasen, Pinguine oder Igel mit Karnevalsmützen, liefert dies vielleicht schon so manche Anregung für die kreative oder kulinarische Ausgestaltung von Kindergeburtstagen oder anderen Festen. Weitere Schritte für Geübtere folgen, wie die Gestaltung in Kombination mit Schrift für lustige Gruß- oder Spruchkarten oder die Illustration lustiger, dekorativer oder mitunter etwas skurriler Dinge wie blumengeschmückte Oldtimer, Vogelhäuser, Blumenballons oder Schildkröten in Flaschen. Drei Doppelseiten sind speziell dem Darstellung verschiedener Emotionen gewidmet. Den zeichnerischen Abschluss des Kawaii-Schnellkurses bildet die schrittweise erklärte Darstellung eines sogenannten Grummelkaters. Wer die Ergebnisse seines kreativen Kawaii-Lehrgangs anschließend auf Instagram & Co. Zeigen möchte, wird dazu ausdrücklich ermuntert und mit den entsprechenden Links versorgt.

Allen, die Lust haben, das Kawaii-Zeichnen auszuprobieren oder zu vervollkommnen, bekommt mit dem Buchkurs eine anschauliche Anleitung zum Nachmachen und Weiterspinnen.

Der supersüße Zeichenkurs

Schritt für Schritt niedliche Motive zeichnen

von Tanja Geier

Frechverlag, 2020

Ida und die Welt hinterm Kaiserzipf

„Genauso wie der Künstler ein unstillbares Verlangen zu malen in sich fühlt und der Poet seinen Gedanken freien Lauf lassen muss, fühlte ich mich gedrängt von einem unbezwinglichen Wunsch, die Welt zu sehen.“

So beschreibt sich Ida Pfeiffer, eine insbesondere in ihrer Zeit außergewöhnliche Frau, geboren 1797 in Wien, welche entgegen aller Konventionen und ohne finanzielles Vermögen  ihren von Kindheit an bestehenden großen Traum vom Weltreisen und Forschen mit 44 Jahren zum ersten Mal und als erste Frau in die Tat umsetzte. Von der erfolgreichen Veröffentlichung ihrer Reisebeschreibungen finanzierte sie weitere Reisen nach Palästina, Ägypten, Indonesien, Madagaskar und Mauritius, während derer sie sich intensiv  Tier- und Pflanzenstudien, verschiedenen Sprachen und der Fotografie widmete.

Dem ungewöhnlichen Lebensweg Lisa Pfeiffers mit ihrem unbändigen Abenteuer- und Forscherdrang hat Linda Schwalbe, die in Halle und Berlin Illustration studierte und sich ganz ähnlich wie Ida Pfeiffer von Entdeckungen, Abenteuern, Musik und Natur inspirieren lässt, ein bemerkenswert schönes und Fernweh weckendes Bilderbuch gewidmet mit vielen ausdrucksstarken, vor allem in den Grundfarben Rot, Blau und Gelb gehaltenen, an Kinderzeichnungen erinnernden Illustrationen, die noch sehr viel mehr über den Text hinausgehende Dinge erzählen und Lust zum Entdecken entfachen.

Beginnend  im Jahr 1802 in Wien beschreibt sich darin die fünfjährige Ida als „nicht schüchtern, sondern wild wie ein Junge und beherzter und vorwitziger als meine Brüder“ mit einem Kopf  voller Abenteuer, die sie sich mit Blick auf die Berge sinnierend am Fenster eines türkisblauen und stuckverzierten Hauses  erträumt und in einer orangeroten Gedankenblase zu Buch-Bildern werden. Wie würde wohl die Welt hinterm Kaiserzipf aussehen? Das will die kleine Ida unbedingt wissen und ist sich sicher, eines Tages als Urwaldforscherin unbekannte Schmetterlingsarten zu entdecken, was sie in Expeditions-Spielen mit ihren Brüdern und Insekten-Sammeln schon mal vorweg auslebt und in zahlreichen Zeichnungen festhält, die von exotischen Abenteuern künden. Idas Mutter hingegen ist vom Abenteuerdrang der Tochter wenig begeistert und findet, sie solle lieber zu Hause bleiben und sich darum kümmern, ein „vorbildliches Fräulein“ zu werden. Also wird Ida zunächst ein „anständiges“ Mädchen, sie heiratet und bekommt Kinder. Erst als diese ihre eigenen Wege gehen, besinnt sich Ida ihrer fast vergessenen Träume und packt ihre Abenteuer-Koffer. Sie umsegelt die ganze Welt, ernährt sich wie die Matrosen von Erbsensuppe und Salzfleisch, entdeckt Orte voller Geheimnisse, trifft auf Delfine, sucht im Dschungel nach dem Zipfelflügeligen Schnalzfalter, begegnet freundlichen Menschen wie Ayu und ihren Freunden, erforscht die Natur, lernt  viele Kulturen kennen – und zehrt von ihren Eindrücken und Erlebnissen ein Leben lang. Zufrieden lächelnd und sinnierend sitzt die ältere Ida, mit einer Feder schreibend und umgeben von Erinnerungsstücken in einem türkisblauen Zimmer …

Ida und die Welt hinterm Kaiserzipf

Text und Illustration: Linda Schwalbe

NordSued Verlag, 2020

König der Kinder / Tänze der Untertanen

Ja, die Begegnung mit Lyrik kann riesengroßen Spaß machen! Besonders dann, wenn sie als erhellende Begegnung mit Sprache und Reimen überhaupt nicht sperrig daherkommt, sondern voller Lebenslust und Lebensklugheit wie in dieser wunderbaren Anthologie  in Form zweier Büchlein mit Gedichten für Kinder und Jugendliche, eigentlich aber für alle, denen das mal blödelnde, mal tiefsinnige akrobatische Spiel mit Sprache, wie wir es etwa von Morgenstern, Ringelnatz, Tucholsky oder Guggenmoos kennen, einfach immer wieder unbändige Freude bereitet.

Nils Mohl, ein mit zahlreichen Preisen bedachter Schriftsteller und Drehbuchautor, veröffentlichte erste Texte schon in der Schülerzeitung, wozu seine Mitschülerin Katharina Greve, inzwischen  ebenfalls preisgekrönte Comiczeichnerin, auch damals schon die Illustrationen beisteuerte. Wie schön, dass die Beiden noch immer zusammenarbeiten.

Das gelbe Bändchen mit dem Titel „König der Kinder“ lädt in konsequenter Kleinschreibung unter anderem zum Nachsinnen darüber ein, was „zirpen grillen“ (Fleischspieße oder Vegetarisches?) und was sie danach tun (natürlich Chillen und den Grillen beim Zirpen zuhören!), beschreibt Abenteuerliches beim Reifenwechsel auf der Autobahn und popcornspeiende Vulkanausbrüche , dokumentiert erste Sprechversuche eines Ferkels, lässt überlegen, was ein nimmersatter Klops in der Lunchbox verstaut, lässt Blische fubbern, Pechte spochen, Ramster hadeln oder Bröwen lüllen, führt uns alles-auf-„oben“-reimend in ein Theater, wo sich ein Rudel Pudel mit fantastischen Roben auf der Bühne zum Proben und auf einen Kater trifft, lehrt uns, was ein durchs Unterschrümm grabunkelnder Golbert oder ein Donnerling ist oder was flatterfreitags zu tun ist und dass Opa, der Märchenriese und König der Kinder einer ist, der aus Kissen Traumpaläste baut, gibt Tipps für Spatzenhirnige, die Angst vorm Blödeln haben und ein Statement zur Besserwisser-Sprache, und schlussendlich einen Beweis dafür, dass ein Märchen auch nur mal aus vier Worten (nämlich  Frosch, Kuss, Prinz und Schluss) bestehen kann.

Für die Größeren gibt es das grüne Bändchen, die „Tänze der Untertanen“. Darin unter anderem ein astreiner Spruch für Transparente, höhenrauschartige Traumfliegerei, ein nihilistisches Gedicht mit vielen Nö´s und Ö´s, Knickidiknack als Füllwort für Liebe ( „zig knickidiknacker hats schon dahingerafft dies gemütsphänomen elementarster kraft …“), exquisite Expertisen („exkinder sind erwachsen, exfahrer nutzen taxen, exhosen sitzen enger, exkurse dauern länger …“), ein poetisches Nordseerauschen, in dem „alles einfach Insel“ ist, Dünen vor sich hinhügeln, man ummöwt meernah strandet oder unterm Leuchtturm mondbetuschtes Land, Meeresbrisen, salzige Wiesen und aufgeheizter Sand  zu einem olfaktorisch vorstellbaren Erlebnis werden. Wunderbar und bildhaft im wahrsten Wortsinn (mit einer Illustation der auf die materiellen Folgen von Seekrankheit lauernden Fische) auch ein nautisches Seegedicht, ein Zungenbrecher über Kahlkopf Karl, ein pornografisches Haiku, das allein auf die Vorstellungskraft des/der Lesenden setzt, eine grafisch so simpel wie genial umgesetzte Auskunft über das Gelände, die Tänze der Untertanen, die den Grobianen den Mittelfinger zeigen, uns Königskinder und Kopftitanen werden lässt und poetische Anstösse über Wahrheiten, Gewissheiten, Hörensagen, Glaubensfragen, Hoffnungen und Wünsche vermittelt.

König der Kinder/Tänze der Untertanen

Nils Mohl und Katharina Greve, mixtvision Verlag, 2020

Nette Skelette

Arie van´t Riet, der bis zu seiner Pensionierung als klinischer Strahlenphysiker tätig war und seitdem Röntgengeräte verwendet, um sogenannte Bioramen – Röntgenbilder von Tieren und Pflanzen- herzustellen, gehört zu den bestimmt nur wenigen Menschen, die man mit einer toten Maus beglücken kann.  Aus Röntgenaufnahmen  arrangiert er fantastische Bilder, die wie Kunstwerke aussehen und bereits weltweit ausgestellt und bewundert wurden. Zusammen mit den interessanten und unterhaltsamen, humorvollen Texten von dem erfolgreichen Sachbuchautor Jan Paul Schutten entstand daraus ein ungewöhnliches und gestalterisch ausgesprochen schönes Buch. Die eindrucksvollen  Aufnahmen von mit Röntgenstrahlen durchleuchteten verstorbenen Tieren und filigranen  Pflanzenteilen, mit denen van´t Riet kompositorisch experimentiert, bis es ihm gelingt, in einer Bildkomposition gleichzeitig  hauchdünne, filigrane Blütenblätter und stabile Knochenstrukturen abzubilden, sind ein wahres Fest für die Sinne und geben faszinierende Einblicke in eine unseren Augen normalerweise verborgene Welt.

Während wir die wunderbar ästhetischen Bilder betrachten, erfahren wir aus den begleitenden Texten Hochinteressantes aus den Reichen der Gliederfüßer und Weichtiere, Fische, Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugetiere: wie rührend sich Skorpionmütter um ihren Nachwuchs kümmern, wie unglaublich viele Beine Garnelen haben, dass dicke Hummeln unsichtbare Wespentaillen haben, dass Libellen erstaunliche Flugkünstler sind, was Schnecken und Menschen unterscheidet, weshalb man im Restaurant niemals Seezunge mit süßen Früchten bestellen sollte, dass Seepferdchen innen und außen Skelette haben, dass Frösche die besseren Prinzen sind, dass man durch Zählen von Fingerknochen Amphibien und Reptilien voneinander unterscheiden kann, dass die Jesus-Christus-Echse tatsächlich übers Wasser laufen kann, Erstaunliches über Chamäleonzungen, den Stoffwechsel von Schildkröten oder ziegenfressende Schlangen, dass  Vögel wahre Bodybuilder sind, Maulwürfe einen zusätzlichen Daumen haben, Knochen lebenslang wachsen und vieles, vieles mehr.

Und zum Abschluss erfahren wir, in einer kleinen Geschichte verpackt, noch etwas über den Entdecker der Röntgenstrahlen, dessen Zufallsentdeckung nicht nur bahnbrechend für Medizin und Wissenschaft wurde, sondern letztlich auch die Entstehung dieses wunderschönen Buches ermöglichte, welches Kinder wie Erwachsene  gleichermaßen begeistern kann.

Nette Skelette

Röntgenbilder von Tieren und Pflanzen

Bilder: Arie van´t Riet

Text: Jan Paul Schutten

Mixtvision, 2020