Buch und Film sind zweifellos Klassiker, und wohl die meisten Lesenden und Cineasten der mittleren bis älteren Generation kennen zumindest in groben Zügen die Story des romantisch-verklärten Südstaatenepos „Vom Winde verweht“ vor dem Hintergrund des amerikanischen Bürgerkriegs um die zuweilen als größte Liebesgeschichte aller Zeiten beschriebene Beziehung zwischen Scarlett O´Hara und Rhett Butler. Ich erinnere mich, dass meine Mutter den meist um die Weihnachtszeit ausgestrahlten Film von 1939 mit Vivien Leigh und Clark Gable in den Hauptrollen unzählige Male und immer wieder gern gesehen und dabei die eine oder andere Träne vergossen und auch das 1936 erschienene Buch von Margaret Mitchell wie viele ihrer Altersgenossinnen nahezu „verschlungen“ hat. Ich gestehe, bisher weder das Buch in der bisherigen deutschen Übersetzung von Martin Beheim-Schwarzbach gelesen noch den Film vollständig gesehen zu haben, umso mehr beflügelte mich die Tatsache, dass im Verlag Kunstmann unter dem Titel „Vom Wind verweht“- welcher schon vermuten lässt, dass mit dem fehlenden „e“ weniger Staub und mehr Modernität einhergehen könnten – der Romanklassiker zum Beginn des neuen Jahres 2020 in einer Neuübersetzung in die Buchhandlungen kommt, diesen nun endlich auch einmal zu lesen. Und welche Zeit wäre besser geeignet als die Zeit zwischen den Jahren, um sich mit einem 1300seitigen Schmöker für einige Tage gemütlich auf die Ofenbank zu verziehen und alles um sich herum zu vergessen …
Es ist die Lebens- und Liebesgeschichte einer sowohl in ihrer Lebenslust, ihrer Willensstärke und ihrem Mut als auch in all ihrer Ambivalenz, ihrem Hang zur Manipulation und einer gewissen Skrupellosigkeit faszinierenden jungen Frau, die eingebettet ist in die erschütternden Geschehnisse des amerikanischen Bürgerkriegs aus der Sicht der unter dem Krieg leidenden Bevölkerung rund um ihre Baumwollfarm Tara und die Stadt Atlanta im Bundesstaat Georgia, beginnend 1861 kurz vor Ausbruch des Krieges und endend in den kaum minder schweren Jahren der Reconstruction nach Kriegsende, ungefähr zwölf Jahre später, als Scarlett O´Hara 28 ist – so lebendig, abenteuerlich, erschütternd und spannend erzählt, dass ich das Buch kaum noch aus der Hand legen kann.
… Einige Tage später tauche ich wieder aus dem Lese-Wahn auf und stelle fest, dass ich tagelang gedanklich mit nichts anderem als diesem Buch beschäftigt war und nur schwer kann ich dem sich sogleich nach Lesen der letzten Seite einstellenden Impuls, sofort wieder von vorn zu beginnen, um die sich ausbreitende Leere zu füllen, widerstehen.
Mir fehlt der persönliche Vergleich zum vorherigen Buch und zum Film, um diese direkt gegenüberzustellen, insofern kann ich mich nur auf Klappentext und Nachwort beziehen, wo angemerkt wird, dass diese Neuübersetzung sich viel näher am Original bewegt, indem sie weniger klischeehaft-romantisierend erscheint und mehr dem schnörkellosen, journalistischen Stil der Autorin Margaret Mitchell folgt und uns so nun beinahe einen anderen Roman lesen lässt, der sich mit Tolstois „Krieg und Frieden“ vergleichen lässt. Auch wurden vielgestaltige Rassismen überarbeitet, die sich in der vorherigen Buchausgabe fanden, so zum Beispiel gekennzeichnet durch eine unbeholfene und grammatikalisch falsche Sprechweise der Sklaven, in der Neuübersetzung in eine spezifische Form von Slang überführt.
Die Lektüre ist vor allem ein unterhaltsames und spannendes Leseabenteuer, welches uns neben der berührenden individuellen Geschichte die Schrecken eines Krieges ebenso wie die Stärke einer Frau eindrücklich vor Augen führt. Ganz großes Kino – und wer weiß … vielleicht auch bald in Form einer Neuverfilmung!
Margaret Mitchell: Vom Wind verweht
Neuübersetzung von Andreas Nohl & Liat Himmelheber
Kunstmann, 2020